Psychotherapie Oststeiermark

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Was mich gegenwärtig persönlich beschäftigt

Wodurch wirkt Gruppentherapie?

In meiner Ausbildung zum Gruppen-Psychotherapeuten wurde mir die psychodramatische Technik beigebracht. In meiner langjährigen Berufserfahrung im ambulanten Setting wurde mir aber auch sehr rasch vor Augen geführt, dass Technik allein nicht für den therapeutischen Erfolg oder Misserfolg ausschlaggebend sein kann: Dass es in der gruppentherapeutischen Behandlung stattdessen (auch) grundlegende Wirkmechanismen geben muss, die über Technik hinausgehen und unser aller Erleben und Verhalten beeinflussen. Der folgende Blog fasst ein Unterkapitel von Forsyth (2019) zusammen, in welchem diese Faktoren übersichtlich zusammengefasst werden:

Motivationale und emotionale Perspektive

Diese Perspektive geht davon aus, dass unser Verhalten gleichermaßen von Motivationen und Emotionen angetrieben wird. Fragen Sie sich selbst, was Sie sich in diesem Augenblick wünschen: Was ist Ihr Bedürfnis? Was ist Ihr Wollen? Wonach trachten Sie gerade? Die Ausprägung Ihrer Motivation ist ausschlaggebend dafür, wann, wie und wie lange Sie aktiv werden bzw. ob Sie überhaupt aktiv werden. Bei vielen psychischen Erkrankungen ist dieses “motivationale System” (welches im Gehirn übrigens durch den Neuromodulator Dopamin codiert wird) nur eingeschränkt verfügbar - dann fehlt “der Antrieb”, was sich durch negative Emotionen (wie Überforderung oder Gefühle des Versagens und der Schuld) äußern kann. Die meisten Forscher gehen davon aus, dass das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Anerkennung und Geborgenheit grundlegend in jedem Menschen angelegt ist. Deswegen scheint es auch plausibel anzunehmen, dass die meisten Menschen sich in Gruppen deswegen wohlfühlen, weil diese grundlegende Sehnsucht in uns gestillt wird; eine Erfahrung, die ich in psychotherapeutischen Gruppen wiederholt beobachten konnte. Die Teilhabe an Gruppen äußert sich oft durch positive Emotionen wie persönliches Wohlbefinden und Glücksmomente.

Verhaltensperspektive

Die Verhaltensperspektive geht auf Forschungen in den 1960-erJahren zurück: Ihr Kernstück ist die Annahme, dass menschliches Verhalten immer dann gehäuft auftritt, wenn es belohnt wird; im Umkehrschluss natürlich auch zunehmend seltener auftritt, wenn es bestraft wird. Zwei Beispiele zur Veranschaulichung: Sie werden die Filiale eines Geschäfts eher ein zweites Mal aufsuchen, wenn die Kassierin Sie besonders freundlich behandelte. Andererseits werden Sie die Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Straße eher einhalten, wenn Sie kürzlich schon zwei Strafmandate erhalten haben. Die Verhaltensperspektive auf den psychotherapeutischen Gruppenrahmen umgelegt bedeutet, dass Menschen Zeit und persönlichen Ressourcen in eine Gruppe einbringen, der sie angehören, und dass sie dafür im Gegenzug auch Anerkennung, Belohnung und Bewunderung erhalten. Somit scheinen Gruppen ein unermessliches Feld möglicher Belohnungen zu bieten, weswegen sie von TeilnehmerInnen gewissermaßen als “guter Deal” wahrgenommen werden: Als “guter Deal”, weil Menschen in ihrem persönlichen Erleben “mehr zurückbekommen” als sie dafür investieren.

System-Perspektive

Die System-Perspektive betrachtet Gruppen wie lebendige Organismen, die klare Ziele oder Standards verfolgen. Gruppen organisieren und steuern sich selbst, indem nämlich manche ihrer TeilnehmerInnen plötzlich initiativ und aktiv werden. Die System-Perspektive geht so weit anzunehmen, dass einzelne Personen (oder Einheiten) ersetzt werden können, ohne dass sich das System dadurch signifikant verändert. Im Laufe meiner langjährigen Erfahrung konnte ich wiederholt beobachten, wie Gruppen als Systeme auf einen Input reagierten: Beispielsweise eine unerwartete Verhaltensweise oder Aussage eines Gruppenmitglieds, was dann zur weiteren Bearbeitung des Themas führte. Deren Bestandteil war oft eine psychodramatische Szene (oder Aufstellung), jedoch reicht das Wesen der Bearbeitung viel weiter: Es umfasst nämlich die Kommunikation zwischen den Teilnehmenden, das Schweigen oder Nicht-Schweigen von Personen, deren unwillkürliche Gesten versteckter Wut oder Berührtheit. Am Ende dieses Bearbeitungs- oder Transformationsprozesses stand dann stets ein Ergebnis (oder Output), welches von uns allen mehr oder weniger angenommen werden konnte (oder eben auch nicht).

Kognitive Perspektive

Unter Kognition versteht man allgemein die Wahrnehmung und Bewertung von Information: Was nehme ich an einem Menschen wahr? Ist er schweigsam, zurückhaltend oder fordernd? Und was bedeutet diese Haltung für mich, wie bewerte ich sie? Schüchtert sie mich ein oder weckt sie in mir vertrauensvolle Gefühle? Fühle ich Behagen oder Unbehagen? In psychotherapeutischen Gruppen kommen die unterschiedlichsten Menschen zusammen, und findet man sich erst einmal in einem solchen Rahmen wieder, beginnt man unweigerlich, die persönlichen Eindrücke von den anderen Personen zu verarbeiten: Wer ist forsch oder fordernd? Wer intelligent? Wer schüchtern und zurückhaltend? Man wird sehr rasch Gesten und Handlungen anderer interpretieren und verstehen wollen: Auf was reagiert diese Person nun? Was ist im Vorfeld passiert, dass nun Dies oder Jenes geschieht? Wahrnehmung, Beurteilung, Verstehen und Memorieren (Erinnern), das sind die Kernelemente für ein verbessertes Verständnis für einander und für sich selbst (auch “Mentalisierung” genannt). Forschungen haben gezeigt, dass die kognitiven Leistungen von Menschen immer dann besser sind, wenn sich die zu verarbeitende Information auf sich selbst oder auf andere Menschen (und nicht auf abstrakte Inhalte oder Gegenstände) bezieht. Diese Tatsache macht das gruppentherapeutische Setting zu einem exzellenten Trainings-Ort, wann immer es um die Förderung geistiger Leistungsfähigkeit und mentaler Modelle geht.

Biologische Perspektive

Die biologische Sichtweise auf psychotherapeutische Gruppen ist eine der für mich interessantesten und am wenigsten wahrgenommenen: Sie rückt nämlich unsere genetische Ausstattung, unsere körperliche Physiologie und unsere neurobiologischen Eigenschaften in den Vordergrund. Wussten Sie, dass sich Ihr Herzschlag und Ihr Blutdruck erhöhen, wenn eine andere Person Trauer oder Schmerz verspürt? Männer, die versuchen, mehr Einfluss und Status innerhalb einer Gruppe zu erlangen, haben meist erhöhte Testosteron-Werte. Menschen mit höherer Oxytocin-Ausschüttung (ein Neuropeptid, welches bei Säugetieren das Brutverhalten und beim Menschen Gefühle von zwischenmenschlicher Nähe und Wärme erzeugt) tendieren eher dazu, mit anderen Menschen einen positiven Umgang zu pflegen. Erhöhtes Oxytocin scheint aber auch dazu zu führen, dass Außenseiter verstärkt abgelehnt werden. Die Ausschüttung von Oxytocin kann durch zwischenmenschliches Verhalten und Interaktion beeinflusst werden. Häftlinge, denen Oxytocin künstlich verabreicht wurde, fühlten sich weniger depressiv und waren weniger aggressiv. Wenn Mitglieder einer Gruppe mit dieser meinungskonform sind, dann werden tendenziell jene Zentren im Gehirn aktiv, die mit Belohnung in Verbindung stehen (u. a. der “Nucleus Accumbens”, der mit Dopamin arbeitet und bei Suchtprozessen und -erkrankungen eine große Rolle spielt). Die Physiologie von TeilnehmerInnen (gemessen am Herzzeitvolumen) entwickelt sich unterschiedlich, wenn die Arbeit innerhalb einer Gruppe als herausfordernd (und nicht als bedrohlich) erlebt wird. Die angeführten Beispiele umfassen allesamt Parameter des Körpers, die in vielen Fällen medikamentös behandelt werden; es scheint, dass diese auch im gruppentherapeutischen Setting beeinflusst werden können, was für mich persönlich bemerkenswert klingt.

 

Literatur

Forsyth, D. R. (2019). Studying Groups. In D. R. Forsyth (Hrsg.), Group dynamics (S. 30-61). Boston: Cengage.

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Nikolas Anastasiadis